Wie der Rittersporn deine unterdrückte Wut befreit

Wie der Rittersporn deine unterdrückte Wut befreit

30
Jan
2022

Unterdrückte und unerlaubte Wut ist für viele Menschen eine Quelle von Leid sowie aufrechterhaltende Bedingung von psychischen und körperlichen Krankheiten. Mittlerweile wird auch die Depression als Erkrankung einer entzündeten Psyche beschrieben und dass es eigentlich eine Erkrankung in Folge unterdrückter Lebenskraft ist. Menschen, die an ungelebter Wut leiden, durften als Kinder weder laut noch wild sein. Das war entweder gefährlich oder schlichtweg erfolglos. Einen eigenen Willen oder den Zugang zu eigenen Bedürfnissen zu entwickeln, war kaum oder gar nicht möglich.

Wenn du das kennst, dass du klagst und weinst, obwohl du eigentlich wütend bist oder still und stumm alles dich hineinfrisst, statt klar deinen Standpunkt und deine Bedürfnisse zu vertreten, wenn du oft resignierst wo du dich eigentlich gesund empören müsstest, dann ist diese Heilungsgeschichte auch für dich und dein verletztes inneres Kind. EnJOY.

„Du wolltest mir von deiner Begegnung mit dem Rittersporn erzählen, Maja…“, sagte die blaue Frau. Beide spazierten gerade den alten Waldweg hinunter zum Birkenhain, um mit den Waldwesen in die Morgendämmerung zu tanzen. Maja freute sich schon sehr, im Hain zu übernachten. Dort schlafen zu dürfen war immer ein besonderer Moment.

„Ja… der Rittersporn… ach blaue Frau, das war ein Ding. Im Garten meiner Eltern wuchs er jedes Jahr in den schönsten Farben und ich legte mich so gern zu ihm und bewunderte seine Anmut und seine Zartheit. Wusstest du, dass seine Blüten aussehen wie kleine Delphine, wenn sie über die Wellen reiten? Der ganz tief Blaue ist mein Liebling. Er erinnert mich ein wenig an dich. Auch wenn er ganz anders ist. Als ich neulich im Blütenfeld in meinem Garten lag, da wurde die Erde wohlig warm und weich. Tiefer und tiefer sank ich in sie hinein und plötzlich saß ich mitten in der Blüte des Rittersporns. Ganz puderig ist mir geworden, so sehr hat er mich bestäubt. Und ich musste niesen. So doll niesen, dass ich kopfüber in seinen hohlen Stengel gepurzelt bin. Ich sag dir, ich bin echt froh, dass ich so gut tief hinab ins Dunkle fallen kann. Danke, dass du mir das beigebracht hast. Das war ein feiner Rutsch hinunter und hinunter bis ich am Boden seiner Wurzeln ankam. Überall war dieses blaue Licht und lauter kleine Rittersporne flitzten herum. Glaubst du, das habe ich wieder nur geträumt ,blaue Frau?“

Die blaue Frau runzelte leicht lächelnd die Stirn. „Ist es denn wichtig Schöne, ob du es geträumt hast?“ Maja steckte kurz ihre Zungenspitzeheraus und schleckte sich einmal von einer Seite auf die andere über die Lippen– das tat sie gern, wenn sie über etwas wichtiges nachdachte. „Nö. Ist es nicht…“Und schon sprudelte es in ihr weiter und sie erzählte erneut.

„Die kleinen Rittersporne, die rannten einfach über mich drüber, so als wäre ich gar nicht da und das tat richtig weh. Ich war doch da. Empört war ich da. EMPÖRT, hörst du.. oh da ist es wieder dieses Beben, ich habe gezittert vor unterdrückter Wut. Und ich konnte doch nichts sagen. Da war dieser fette Kloß in meinem Hals und dieser Klotz auf meiner Brust. So wie ganz früher als ich klein war. Und in meinem Bauch tat es so weh und meine Bauchdecke war hart wie Stein, sie war so hart, dass die Rittersporne plötzlich auf mich aufmerksam wurden und mich hochhoben. Einfach so, als wäre ich nix. Ohne mich zu fragen. Und schwupps lag ich steif und starr über einem kleinen Fluss in ihrem Röhrenbett. Eine Brücke, ich war eine Brücke. Kannst du dir das vorstellen? Oh ich schäumte vor Wut blaue Frau und immer noch konnte ich nichts sagen. Ich konnte gar nicht atmen, so als wäre ich niemand und nichts. Und überall aus mir heraus wuchsen Pilze und diese Gewächse, von denen du sagst, dass es Warzen sind. Riesengroße verschlungene Warzenhöfe. Wie Blumenkohl und Brokkoli und in allen Farben. Lila, grün, blau und auch ganz gelb. Ich war eine Wachstumsbrücke. Und ich kochte. Das war ganz fürchterlich und irgendwie auch schön, diese Energie zu fühlen. Ich habe alle meine Ritter gerufen und überall nach meiner Rüstung gesucht, aber sie sind nicht gekommen die Ritter und auch die Rüstung war weg. Alles einfach weg. Nur ich und meine Entrüstung waren noch da und die Gewächse. Die Rittersporne liefen tagelang über mich während ich kochte. Aus meinen Ohren qualmte es, es dampfte und zischte und ich zitterte. Da haben sie sich gefreut. Weil es so schön wackelte, wenn sie über mich drüber liefen. Als wäre ich eine Hängebrücke. Und eines Tages, als ich schon sehr lange gezittert hatte und mein Bauch das alles nicht mehr halten konnte, da musste ich pullern – einfach so schoss es wie ein Springbrunnen aus mir heraus. Ich bin so froh, dass mir nicht die Blase geplatzt ist und dass ich mich dieses Mal gar nicht geschämt habe. Da war aber ein Druck drauf! Die Rittersporne haben gejubelt über die Fontänen. Und sind um mich herum getanzt. Ein schöner Feiner hat sich zu mir runtergebeugt und gesagt „zittere weitere wilde Tochter.. entrüste dich… die Zeit der unterdrückten Tränen ist vorbei. DAS ist deine wahre Wut große Tochter. Entrüste dich und bebe. Wir helfen dir. Die Zeit der Demütigung ist vorbei, empöre dich. “ Ich hab das nicht verstanden, aber ich mochte seine Augen und seine Hände, die sich wie Kelche um mich legten. „Lass los, kleine Weide. Maja, lass los. Und atme aus.“, sagte er. Und weißt du, ich konnte gar nicht mehr ausatmen. So sehr habe ich es in mir festgehalten. Das tat so weh dieses mich festhalten und unterdrücken, dass ich noch wütender wurde und gegen diesen Druck in mir mit einem tiefen Ruck ausgeatmet habe. Ich bin durchgebrochen. Nichts hat mehr gehalten. Alles uferte aus und wuchs. Ich habe so tief gebrüllt. Unerschöpflich gebrüllt. Es ist alles ganz leicht aus mir rausgewachsen. All die Empörung. All die Entrüstung. All die Enttäuschung. Das hat sooo laut gescheppert. Und gekracht. Und gedonnert. SO laut war ich noch nie in meinem ganzen Leben. Und ich hatte dazwischen auch ganz schön Angst, weil ich so laut war und so in Flammen stand. Wasser, Feuer, Erde, Luft, Raum. Alles strömte.  Ich strömte aus mir heraus und durch mich durch. Wenn nicht die kleinen Rittersporne dazwischen auf meine Füße gepupst hätten, hätte ich vielleicht auch kalte Füße gehabt. Aber die haben gar nicht aufgehört mit Pupsen. Das waren Wolken um meine Füße, die sind bis hinauf in die Kniekehlen gezogen. Weißt du, wie schön sich die Pupse von kleinen Ritterspornen anfühlen? Ganz seidig und ein bisschen als würde jemand dich mit einem Kaninchenfell streicheln. Die Pupse haben mein Feuer noch mehr entfacht. Und dann habe ich gespürt, wie mein Herz zerreißt. In viele viele Teile. Dann kamen die heißen Feuertränen hervor. SO hat sich das damals angefühlt blaue Frau, als ich innerlich gestorben bin. Und die Enttäuschung brannte lichterloh in mir. So so tiefe Enttäuschung. Das tat wirklich sehr weh.  Die Rittersporne haben gesummt. Sie haben einfach nur gesummt und mich in meinem Chaos gehalten während ich weinte, tobte, bebte und zerbrach und zerbrach. Irgendwann hatte ich plötzlich ausgezittert. Und die Entwachsungen hörten auf zu wachsen. Es war einfach vorbei. Und still.

Ich hatte einen Bärenhunger und konnte mich nicht bewegen. Wie frischer reiner Quark lag ich da also so herum. Das mag ich gar nicht, wenn ich mich so schwach fühle, aber der große Rittersporn hat immer freundlich geguckt, da war es nicht so schlimm. Er meinte, das wäre normal nach so einem Durchmarsch. Und er hat gefragt, ob ich die Lebendigkeit darin kosten könne. Immer noch fluteten kleine Energiewellendurch meinen Körper. Und mein Atem bewegte mich sanft durch die Ausläufer. Ich weiß ja schon, dass ich nicht sterbe, wenn ich mich so aufgelöst und weich fühle. So so zart in mir. Und so wie ich gezittert habe, da war ich garantiert nicht tot sondern sehr sehr lebendig. Ungebändigt lebendig. Der große Rittersporn hat mir Blütenblätter auf die Augen gelegt, die hatten die ganze Zeit Feuer gespuckt und sich entzündet. Aber keine einzige Träne war am Anfang da. Nicht eine. Ich habe mich echt gefreut, dass ich nicht weinen musste bei all der Empörung. Ich glaube, ich war sehr mutig gemeinsam mit den Ritterspornen. Das war ein hurtiges Feuerwerk aus meinen Augen, wie große Feuerräder, die überall herumgeflogen sind. Die Rittersporne haben ganz schnell die Wasserdrachen dazu gerufen – das war ein schöner Tanz. Hast du schonmal springende Feuerräder und Wasserdrachentanzen sehen? Das ist ein wahrlicher Augenschmaus. Und der Dampf hat Regenbogenschlösser in den Himmel und auf die Erde gezaubert, er hat alles ganz weich eingehüllt wie in einer großen Sauna. Die Erde hat all meine Tränen getrunken. Ganz satt und glänzend sah sie danach aus.

Die kleinen Rittersporne hatten inzwischen ganz viele Leckereien für uns alle besorgt. Blütentau und Regenbogenglitzereis. Und goldene Spinnwebenwatte. Und himmelgrüne Froschgrütze. Violette Dracheneiersuppe mit Gänseblümchen und Knochenbrühe vom Steinbock hinter den Hügeln. Sogar einen großen heißen Topf mit Entenblutschwarzglut gab es, das war fast so lecker wie Omas Schwarzsauer mit Klößen. Und das gute alte Brot aus dem Holzofen. Danach hab ich gerülpst. Ich hab so laut gerülpst, dass dieser alte Eisenring, den ich noch um meinen Hals trug, abgeflogen ist. Einfach abgeflogen. Ich brauche ihn wohl doch nicht mehr zum atmen. Es geht ganz gut - siehst du. Und es ist auch schon neue seidige Haut über die empfindliche Stelle gewachsen. Ich war erst erschrocken, weil da plötzlich ein Loch war, wo vorher der Eisenring saß. Stell dir das vor. Ein kreisrundes Loch rundherum mitten in meinem Hals. Und ich konnte durch mich durchgucken, aus mir raus und in mich rein. Aber auch durch mich durchatmen. Und durch mich durchtauchen. Überall war ich. Überall hab ich mich gefühlt. Da war nichts in dem Loch außer mir. Ich habe mich selbst eingeatmet und ausgeatmet. Das ging auf einmal ganz leicht. Das Atmen. Und immer war ich da. Irgendetwas muss in den Ritterspornsporen drin gewesen sein. Es ist jetzt ganz leicht, so flüssig in der Leere unterwegs zu sein. So ganz entrüstet. Ohne all die Ringe, Schilde und Panzer. Der große Rittersporn meinte, ich brauche sie nicht mehr – die Rüstung. Ich könnte mich jetzt auch ohne ganz einfach entrüsten und sei behütet darin. Was meinst du – ob das wohl stimmt? Und mit der Medizin der Rittersporne bin ich jetzt geschützt vor der Starre von früher und lähme mich nicht mehr so leicht, wenn ich wirklich wütend werde. Ist das nicht unglaublich schön, blaue Frau? Ich bin richtig gerne wütend. Dann weiß ich nämlich gerade, was ich nicht will und was ich will. Stell dir doch mal vor, wir könnten einfach alle ganz behütet und entrüstet sein und einfach sagen, was wir wollen und was nicht…

Meinen Bogen und meine Pfeile behalte ich. Sie sind wichtig, um der Absicht meiner Energie ihre Ziele zu schenken. Mein Bogen ist eine meiner Verbindungen zu meinen Absichten. Jeden Morgen, wenn ich ihn zur Hand nehme, spüre ich seine Lebendigkeit. Und dass er Teil von mir ist. Die Rüstung jedoch, die ist es seit der Ritterspornmedizin nicht mehr. Es läuft sich auch deutlich leichter so.

Ich bin so neugierig, wie das ist. So beschützt zu sein, wenn ich mich empöre und wütend bin. Und jetzt verrate ich dir noch ein Geheimnis: heute morgen habe ich einen meiner Teller aus der Anrichte genommen. Einen von denen, die nur mir gehören – und dann habe ich ihn ganz laut auf den Boden geschmissen. Ich weiß jetzt, wieso die Menschen so gern den Polterabend feiern. Das macht echt Spaß mit Geschirr zu schmeißen.“

Die blaue Frau lächelt. „Das war eine feine Reise, die du da gemacht hast, liebe Maja. Es ist so schön, dich aus dir selbst heraus wachsen zu sehen. Lass uns morgen im Hain über dich und deinen Bogen sprechen. Ich höre so gern die Geschichte, wie er zu dir gekommen ist.“

Maja schüttelt ihr aschblondes langes Haar und reckt ihre Schultern. „Ja, so machen wir das.“ Schweigend setzen die beiden Frauen ihren Weg zum Hain fort.

Dir Alles Liebe und gutes aus dir Herauswachsen.

Bildcredits goes to Felix Mittermeier by Pixabay

 

 

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